Schule. Beruf. Schnittstelle. Shutterstock/Roman Samborskyi

Zwei Lehrer im Realitäts-Check

Einem Frage-Antwort-Ping-Pong über den möglichst reibungslosen Übergang von der Mittelschule in die Berufsschule stellen sich der Berufsschuldirektor Stefan Hutter auf der einen Seite und auf der anderen Daniel Kienasberger, Lehrer für Berufsorientierung an einer Mittelschule. 


„Was ich lerne, brauche ich wirklich!“

VERITAS: Wenn Schüler:innen nach neun Jahren Schulerfahrung in die Berufsschule kommen – was ist dort anders als in der Pflichtschule? Was fällt den „Neuankömmlingen“ auf, was überrascht sie vielleicht? 

Stefan Hutter:  Wenn Schüler:innen an unsere Berufsschule kommen, betreten sie eine ganz neue Bildungswelt. Was ihnen sofort auffällt: Der Praxisbezug steht im Mittelpunkt. Viele sind überrascht, wie eng Theorie und berufliche Realität miteinander verzahnt sind. Die Inhalte sind konkret, greifbar und direkt auf den künftigen Beruf zugeschnitten – das motiviert und gibt oft erstmals das Gefühl: „Das, was ich lerne, brauche ich wirklich.“ Auch das Verhältnis zu den Lehrpersonen verändert sich. Es wird partnerschaftlicher, auf Augenhöhe. Wir erwarten Eigenverantwortung – und viele wachsen an dieser neuen Freiheit.

In der Mittelschule den Blick in die Praxis werfen

Stefan Hutter:  Herr Kienasberger, wie bereiten sie die Schülerinnen und Schüler in der Mittelschule konkret auf den Übergang zur Berufsschule oder in eine Ausbildung vor? 

Daniel Kienasberger: Im Rahmen der Berufsorientierung binde ich vielfältige Unterstützungsangebote ein, um die Schüler:innen bestmöglich auf ihre berufliche Zukunft vorzubereiten. Dazu zählen unter anderem Vorträge der Arbeiterkammer wie „Dein Recht als Lehrling“ sowie Unterrichtseinheiten zu arbeitsrechtlichen Themen wie Krankenstand, Lohnzettel oder Probezeit. Bewerbungstrainings finden in Zusammenarbeit mit der AK, der Chance-Agentur oder direkt im Unterricht statt – unterstützt durch praxisnahe Videos, typische Fragen-Antwort-Simulationen und Phrasentraining. Berufspraktische Tage sind verpflichtend, ergänzend bieten Jugendcoaching und meine Funktion als Bildungsberater laufende individuelle Beratung. Auch digitale Tools wie „Pathfindr“ kommen zum Einsatz, um eine schnelle und basale Orientierung zu bieten.

Stefan Hutter:  Sie führen in Ihrem Blogbeitrag "Karriere starten statt warten – Berufsorientierung an Mittelschulen" aus, wie bereichernd praktische Erfahrungen für die Schüler:innen sind. Welche Kooperationen mit Betrieben oder externen Partnern nutzen sie, um ihren Schüler:innen praxisnahe Einblicke in verschiedene Berufsfelder zu ermöglichen? 

Daniel Kienasberger: In meinem Unterricht lege ich großen Wert darauf, den Schüler:innen praxisnahe Erfahrungen zu ermöglichen – besonders hilfreich sind dabei organisierte Praktika mit anschließender Reflexion, die Kooperation mit Einrichtungen wie dem AMS oder der Arbeiterkammer, die Einbindung des Jugendcoachings, der direkte Kontakt zu Unternehmen aus der Region sowie der Besuch von Berufsmessen. All diese Maßnahmen helfen, Berufe erlebbar zu machen und individuelle Perspektiven greifbar zu gestalten.

Wie Mittelschule und Berufsschule kooperieren können

Daniel Kienasberger: Herr Hutter, wie erleben Sie die Vorbereitung der Schüler:innen auf die Lehre durch die Mittelschulen? Was fehlt aus Ihrer Sicht? Welcher Grundstock sollte in der Mittelschule aufgebaut werden, mit dem Sie weiterarbeiten können?

Stefan Hutter: Die Vorbereitung der Schüler:innen auf die Lehre durch die Mittelschulen ist sehr unterschiedlich – sie hängt stark vom Engagement der Lehrkräfte und den schulischen Rahmenbedingungen ab. Was wir uns verstärkt wünschen würden, ist ein klarer Fokus auf grundlegende Kompetenzen: Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Teamfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit und ein realistisches Bild vom Berufsleben. Fachlich ist es weniger entscheidend, ob jemand ein bestimmtes Detail schon kann – viel wichtiger ist die Bereitschaft zu lernen, sich anzustrengen und Verantwortung zu übernehmen. Auch Basiskompetenzen in Deutsch und Mathematik bleiben essenziell, um im Beruf und in der Berufsschule erfolgreich zu sein.

Daniel Kienasberger: Wie könnten Mittelschulen und Berufsschulen besser zusammenarbeiten, um den Übergang zu erleichtern?

Stefan Hutter: Damit der Übergang besser gelingt, sollten Mittelschulen und Berufsschulen enger kooperieren – zum Beispiel durch gemeinsame Projekte, Schnuppertage oder regelmäßige Austauschformate zwischen Lehrkräften beider Schularten. Wichtig ist, dass wir voneinander wissen, wie der jeweils andere arbeitet und welche Anforderungen auf die Jugendlichen zukommen. Wenn Schüler:innen bereits in der Mittelschule erleben, was sie in einer Berufsschule erwartet, nehmen die Ängste und Unsicherheiten ab. Und wenn wir als Berufsschule Rückmeldungen geben können, was in der Praxis gut klappt oder noch fehlt, profitieren auch die Mittelschulen davon. Letztlich geht es um eine durchlässige, abgestimmte Bildungsbiografie – und dafür müssen wir als Schultypen mehr zusammenrücken.

Herausforderungen in der beruflichen Orientierung

Stefan Hutter: Herr Kienasberger, welche Herausforderungen sehen sie aktuell bei ihren Schüler:innen in der Mittelschule im Hinblick auf die berufliche Orientierung, und wie gehen Sie damit um?

Daniel Kienasberger: Derzeit stelle ich vor allem drei zentrale Herausforderungen bei der beruflichen Orientierung fest: Viele Schüler:innen haben ein verzerrtes oder lückenhaftes Bild von realen Berufsfeldern; zudem steht der familiäre Druck, eine weiterführende Schule zu besuchen, häufig über der Auseinandersetzung mit alternativen Ausbildungswegen. Auch die Fähigkeit zur Selbstreflexion ist oft nur gering ausgeprägt – viele wissen schlichtweg nicht, wo ihre eigenen Stärken liegen. Dem begegnen wir mit vielfältigen Maßnahmen: Intensive Einzelgespräche sind dabei ebenso zentral wie das Einladen von ehemaligen Schüler:innen, die offen über die Herausforderungen an höheren Schulen berichten. Auch Unternehmen mit ihren Lehrlingen kommen regelmäßig zu Besuch und geben praxisnahe Einblicke. Dabei fällt auf, dass auch viele Eltern unsicher sind und ihren Kindern wenig Unterstützung bieten – sei es bei der Lehrstellensuche oder der Entscheidung für den passenden Weg. Häufig melden sie ihre Kinder dann einfach an einer weiterführenden Schule an, weil es der bequemere Weg zu sein scheint. Zwar engagiert sich unser Jugendcoaching sehr intensiv, aber das Angebot wird leider nicht immer im notwendigen Ausmaß angenommen. Hier braucht es noch mehr Bewusstseinsbildung, auch bei den Eltern.

Das Image der Lehre verbessern

Daniel Kienasberger: Welche Rolle spielen Berufsschulen heute bei der Imageverbesserung der Lehre? ODER: Wie könnte Ihrer Meinung nach das Ansehen der Lehre bei Jugendlichen und Eltern nachhaltig verbessert werden?

Stefan Hutter: Berufsschulen spielen eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, das Image der Lehre zu stärken. Wir sind nicht nur Bildungsstätte, sondern auch Botschafter für die duale Ausbildung. Indem wir zeigen, wie vielfältig, modern und chancenreich eine Lehre heute ist, können wir Vorurteile abbauen – etwa, dass Lehre nur ein „Plan B“ sei. Das beginnt bei einem zeitgemäßen Unterricht mit digitaler Ausstattung, setzt sich in engagierten Lehrpersonen fort und zeigt sich vor allem in den Erfolgsgeschichten unserer Absolvent:innen.

Langfristig kann das Ansehen der Lehre nur verbessert werden, wenn alle Beteiligten – Schulen, Betriebe, Politik und Medien – an einem Strang ziehen. Wir müssen sichtbarer machen, welche Karrierewege eine Lehre eröffnet: vom Facharbeiter bis zur Führungskraft, vom Meister bis zum eigenen Unternehmen. Auch Eltern müssen verstehen, dass die Lehre heute eine hochwertige Ausbildung ist, die nicht im Widerspruch zu späterer Weiterbildung steht – im Gegenteil: Sie ist oft ein Sprungbrett. Wenn Jugendliche erleben, dass ihre Arbeit wertgeschätzt wird, und Eltern sehen, dass ihr Kind in der Lehre aufblüht, verändert sich das Bild automatisch.

VERITAS: Vielen Dank an Sie beide für Ihre Blogbeiträge und den Austausch!

Über die Autoren

Ing. Mag. Stefan Hutter, BEd MEd ist Direktor der Berufsschule Linz 9 und setzt sich mit Leidenschaft für eine moderne, praxisnahe und zukunftsorientierte Ausbildung seiner Schülerinnen und Schüler ein. 

Daniel Kienasberger, BEd, MEd ist Lehrer an einer Mittelschule in Hallein/Salzburg. Obwohl er die Fächer Geografie und Geschichte studiert hat, brennt sein Herz für die Berufs- und Bildungsorientierung. 

Blogbeitrag von Mag. Stefan Hutter

Blogbeitrag von Daniel Kienasberger, MEd