Berufsorientierung an Mittelschulen Shutterstock/New Africa

Karriere starten statt warten

Die Entscheidung für eine berufliche Laufbahn ist für Schülerinnen und Schüler eine der wichtigsten in ihrem Leben. Sich früh für eine Berufsausbildung zu entscheiden, wird häufig als weniger attraktiv wahrgenommen als eine länger Schullaufbahn.
Dabei bietet eine Lehre vielfältige Chancen, eine praxisnahe Ausbildung und solide Karrierewege. 

 

Mittelschule an der Schnittstelle

Gleichzeitig ist es für Unternehmen schwierig, geeignete Lehrlinge zu finden. Mittelschulen spielen an dieser Schnittstelle eine entscheidende Rolle: Sie können die Berufs- und Bildungsorientierung (BBO) so gestalten, dass die Schülerinnen und Schüler einen gleichwertigen Eindruck von weiterführenden Schulen, dualen Ausbildungen und Lehrberufen bekommen – damit die Berufswahl auf der Basis einer realistischen Zukunftsperspektive getroffen werden kann.

Rechtliche Grundlagen

Unterschiedliche Berufsbilder, Ausbildungswege und Karrierechancen sollten nicht erst in den Abschlussklassen thematisiert werden. Als übergreifendes Thema ist die „Bildungs-, Berufs- und Lebensorientierung“ in einzelnen Fachlehrplänen (z.B. im Sachunterricht) bereits ab der Volksschule verankert. Die verbindliche Übung „Bildungs- und Berufsorientierung“ ist im neuen Lehrplan (im Jänner 2023 kundgemacht) für die 7. und 8. Schulstufe vorgesehen und kann integrativ oder als eigenes Fach unterrichtet werden. 

Zentrale Aspekte der Berufsorientierung an Mittelschulen

  • Frühzeitige Sensibilisierung: Berufsorientierung sollte – wie oben ausgeführt – bereits ab der Volksschule integrativer Bestandteil des Unterrichts sein. In den meisten Mittelschulen wird in der 7. und 8. Schulstufen je eine Wochenstunde BBO als eigenes Fach unterrichtet – schulautonome Regelungen sind möglich.
  • Praxiserfahrung durch Kooperationen: Wenn Betriebe und Schulen eng zusammenarbeiten, sind realistische Einblicke in verschiedene Berufsfelder möglich. Kleine Berufsinfomessen in der Schule sind für Unternehmen aus der Umgebung eine gute Möglichkeit, sich vorzustellen. Dazu könnte man auch Personalverantwortliche einladen, die den Schülerinnen und Schülern ganz offen kommunizieren, worauf sie bei einem Vorstellungsgespräch achten.
  • Individuelle Förderung: Jede Schülerin und jeder Schüler hat unterschiedliche Stärken und Interessen, die im BBO-Unterricht herausgearbeitet werden. Nach ihren Talenten befragt, antworten Schüler:innen scherzhaft gern mit „Schlafen, Essen & Handy“; sinnvolle Testungen ersetzen solche Antworten durch echte Stärken, weil sie den Schüler:innen bewusst geworden sind. Eine gute Zusammenarbeit mit dem Jugendcoaching hilft den Lehrpersonen zudem, einiges an Arbeit auch einmal abzugeben.
  • Elternarbeit: Eltern haben teilweise veraltete Vorstellungen von Ausbildungsberufen. Für manche Eltern kommen grundsätzlich nur weiterführende Schulen in Frage. Andere haben eine klare Vorstellung vom zukünftigen Beruf ihres Kindes, berücksichtigen aber dessen Interessen, Wünsche und Begabungen zu wenig. Gezielte Informationsveranstaltungen erweitern den Blick von Eltern, die dafür offen sind.

Berufsorientierung im Wandel der Zeit

Berufsorientierung und Arbeitsmarkt haben sich in den letzten Jahren stark verändert: Durch den digitalen Fortschritt entstehen neue Berufsfelder, während klassische Handwerksberufe häufig unter Nachwuchsmangel leiden. Diese Dynamik erfordert Flexibilität und die Integration neuer Entwicklungen in den Unterricht – auch Lehrpersonen im Bereich der Berufsorientierung sollten auf dem neuesten Stand sein.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die zunehmende Bedeutung von Soft Skills. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber suchen nicht nur nach fachlichen Kompetenzen, sondern auch nach Qualitäten wie Teamfähigkeit, Kommunikationsstärke und Lösungsorientierung. Schulen können diese Soft Skills durch gezielte Projekte und praxisnahe Unterrichtsformate fördern.

Erfolgreiche Berufs- und Bildungsorientierungsstunden und Projekte in der Praxis

Schnupperwochen bzw. berufspraktische Tage

Drei bis fünf Tage in einer Firma zu arbeiten, begleitet von Reflexionsaufgaben, hilft den Schülerinnen und Schülern, ihre Erfahrungen zu verarbeiten und eigene Stärken zu erkennen. Wichtige Fragen zur Reflexion könnten sein:

  • Welche Aufgaben haben mir am meisten Spaß gemacht?
  • Welche Fähigkeiten konnte ich besonders gut einsetzen?
  • Kann ich mir vorstellen, diesen Beruf langfristig auszuüben?

Neben der Reflexion ist auch der Austausch mit den Mitschülerinnen und Mitschülern wesentlich. In Gruppen teilen die Jugendlichen ihre Erfahrungen und inspirieren sich gegenseitig.
Als Vorbereitung auf berufspraktische Tage dienen Übungsstunden, in denen Anrufe bei Firmen und das Verhalten bei einem „Schnuppertag“ in sicherem Rahmen geprobt werden.

Besuch von Berufsinformationsmessen

Berufsinformationsmessen wie die BIM, das GROW-Festival, die BeSt (Beruf Studium Weiterbildung), Karrieretage oder Berufserlebnistage bieten den Jugendlichen eine hervorragende Gelegenheit, sich über verschiedene Berufsbilder und Ausbildungsmöglichkeiten zu informieren. Dort können sie direkt mit Unternehmen, Schulen und Institutionen ins Gespräch kommen, Fragen zu Berufen und Ausbildungsmöglichkeiten stellen und oft auch praktische Erfahrungen sammeln.

Workshops beim Arbeitsmarktservice (AMS) oder der Arbeiterkammer (AK)

Das AMS und die AK bieten zahlreiche Workshops an, in denen die Jugendlichen wertvolle Kompetenzen erwerben können. Sie lernen, wie man Bewerbungen schreibt, Vorstellungsgespräche führt und sich auf den Arbeitsmarkt vorbereitet. Diese praxisnahen Übungen helfen, Unsicherheiten abzubauen und das Selbstbewusstsein zu stärken.

Betriebserkundungen

Durch Betriebserkundungen erhalten die Schülerinnen und Schüler einen direkten Einblick in Unternehmen und deren Arbeitsabläufe. Diese praxisnahen Erfahrungen machen nicht nur Spaß, sondern zeigen auch, welche Aufgaben in einem Betrieb täglich anfallen.

Talente-Checks und Potenzialanalysen

Je nach Bundesland bieten unterschiedliche Institutionen mehrstündige Tests an, um die Talente, Fähigkeiten und Interessen der Jugendlichen zu analysieren. Nach der Analyse der Ergebnisse führen Psychologinnen bzw. Psychologen ein persönliches Gespräch mit den Eltern, um die Ergebnisse zu besprechen. Diese für Mittelschulen meist kostenlose Services helfen den Jugendlichen, ihre Stärken besser zu verstehen und passende Berufswege zu entdecken.

Firmen stellen sich in den Schulen vor

Viele Unternehmen kommen direkt in die Schulen, um sich und ihre Lehrberufe vorzustellen. Oft bringen sie eigene Lehrlinge mit, die aus erster Hand von ihrer Ausbildung berichten. Neben Informationen zu den Ausbildungsinhalten werden auch Aspekte wie Gehalt und Karrieremöglichkeiten besprochen. Dies gibt den Jugendlichen eine realistische Vorstellung von der Arbeitswelt.

Zusammenarbeit mit externen Stellen

Die Zusammenarbeit mit externen Institutionen erweitert das Beratungsangebot für die Jugendlichen:

  • PATHfindr - Digitale Bildungs- und Berufsorientierung
  • Jugendcoaching
  • Aktuelles – BiBer - Bildungs- und Berufsberatung Salzburg,
  • Berufsinformation und Bildungsberatung in Österreich - WKO,
  • BIZ » BerufsInfoZentren » Alle Infos | AMS
  • # Willkommen beim Verein BEN - Verein für Berufseingliederung Jugendlicher
  • Kompass-Bildungsberatung
  • Netzwerk Berufliche Assistenz NEBA
  • Die Chance – Agentur die-chance

Auch das AMS und die Arbeiterkammer bieten - wie bereits erwähnt - Unterstützung in Form von Workshops, Coachings und Informationsmaterialien an. Diese Partnerschaften sind essenziell, um eine breite Palette an Möglichkeiten aufzuzeigen.

Rollenbilder aufbrechen

Ein wichtiger Aspekt der Berufsorientierung ist es auch, traditionelle Rollenbilder zu hinterfragen und aufzubrechen. Es soll nicht mehr nur darum gehen, welche Berufe „typisch“ für Jungen oder Mädchen sind, sondern darum, dass jeder Mensch den Beruf ergreifen kann, der den eigenen Interessen und Stärken entspricht. Initiativen wie der Girlsday und der BOYS' DAY Österreich sowie Workshops von Let's Empower Austria - LEA fördern diesen Ansatz. LEA bietet zudem Schulbesuche, Seminare und Unterrichtsmaterialien für Lehrer:innen an.

Apps, Websites und Printmaterial im Unterricht

Digitale Tools können die Berufsorientierung zusätzlich unterstützen. 
Besonders hilfreiche und spannende Apps sind:

  • Jopsy ist eine wissenschaftlich geprüfte App, die auf dem RIASEC-Modell basiert, um Jugendlichen bei der Berufsorientierung zu helfen. Nach einem kurzen Test erhalten Nutzerinnen und Nutzer ein Interessensprofil und passende Berufs­vorschläge.  
  • TalentLoop unterstützt Schülerinnen und Schüler aller Schulstufen dabei, ihre Stärken und Interessen zu entdecken und den passenden Beruf zu finden. Durch interaktive Fragen und smarte Analysen erhält man individuelle Berufsvorschläge.
  • Playmit: Playmit ist eine interaktive Lernplattform, die Jugendliche spielerisch auf ihre berufliche Zukunft vorbereitet. Mit kostenlosen Quizzes, Tests und Lerninhalten zu verschiedenen Fachbereichen können Nutzerinnen und Nutzer ihre Fähigkeiten verbessern und Zertifikate für Bewerbungen sammeln, die sie ihrer Bewerbungsmappe beilegen können. 
  • eSquirrel: Stellt nicht nur Kurse zu allgemeinen Fächern zur Verfügung, sondern auch Themen, die die Berufs- und Bildungsorientierung beinhalten.
  • BO to go: In drei Schritten werden zunächst die Interessen des Kindes ermittelt, anschließend passende Berufsfelder vorgeschlagen und schließlich weiterführende Optionen wie Messebesuche oder Schnupperangebote in regionalen Unternehmen aufgezeigt. 
  • Talentastic ist eine österreichische Plattform, die Jugendlichen dabei hilft, passende Lehrstellen zu finden und sich über verschiedene Lehrberufe zu informieren. Ein besonderes Highlight ist die „Talentastic Challenge“, bei der Teilnehmer:innen nicht nur spannende Berufe entdecken, sondern auch attraktive Preise gewinnen können.
  • Ich werde … Zukunftsplaner: ​Die Website „ich werde“ präsentiert einen persönlichen Zukunftsplaner, der Jugendlichen ab der 5. Schulstufe bei der Berufsorientierung hilft. Dieses Programm ermöglicht es den Schüler:innen, ihre Interessen, Stärken und Fähigkeiten zu entdecken, verschiedene Berufe kennenzulernen und eine bewusste Entscheidung für ihre berufliche Zukunft oder weiterführende Ausbildung zu treffen.
  • My future – Mappe: Auf dieser Website kann man die Berufsorientierungs-Mappe „My Future – Schritt für Schritt zum Wunschberuf“ der Arbeiterkammer bestellen. Diese Portfolio-Mappe richtet sich an Schüler:innen ab der 7. Schulstufe und unterstützt sie dabei, ihre persönlichen Interessen, Stärken und Ziele zu reflektieren, um eine fundierte Entscheidung für ihren zukünftigen Bildungs- und Berufsweg zu treffen. ​Die Mappe ist in vier Register gegliedert und enthält vielfältige Arbeitsblätter mit Methoden zur Berufsorientierung, von kreativen Übungen bis hin zu Rechercheaufträgen und Interviewleitfäden. Für Schüler:innen der 9. Schulstufe gibt es eine erweiterte Version der Mappe, die den Berufsorientierungsprozess bis zum Eintritt in die Arbeitswelt begleitet.
  • Unterrichtsmaterial der ISOP: Gerade für arbeitsrechtliche Themen nutze ich die Lernmodule aus dem Bereich Arbeitsnehmer:innenschutz und Arbeitsrecht der ISOP (Innovative Sozialprodukte) in Kooperation mit der Volkshochschule Floridsdorf und der Kärntner Volkshochschulen. Durch Adaptionen werden die abgeänderten Inhalte auch für Schüler:innen verständlich gemacht. 
    Recht ist einfach
  • Schulbücher: Ein Blick in die Schulbuchaktion zeigt, dass für das Schuljahr 2024/25 fünf Werke im Fach „Bildungs- und Berufsorientierung“ approbiert waren, für das Schuljahr 2025/26 nur noch drei für die Mittelschule.
     

Themen im Unterricht

Im Berufs- und Bildungsorientierungsunterricht (BBO) sollten auch wichtige arbeitsrechtliche Themen behandelt werden, die die Jugendlichen später im Berufsleben betreffen.
Dazu gehören:

  • Arbeitsrechtliche Grundlagen und wichtige Begriffe
  • Verschiedene Arbeitsverträge
  • Urlaubsregelungen
  • Krankenstand und Lohnfortzahlung
  • Kollektivverträge
  • Lohnzettel und Gehaltsabrechnung
  • Kündigungsrechte und -fristen
  • Arbeitslosigkeit
  • Rechte und Pflichten von Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen

Fazit und Ausblick

Eine praxisnahe und motivierende Berufsorientierung hilft Schülerinnen und Schülern, fundierte Entscheidungen für ihre Zukunft zu treffen. Mittelschulen können einen wertvollen Beitrag leisten, indem sie frühzeitig informieren, praxisnahe Erfahrungen ermöglichen und individuell fördern. So kann das Image der Lehre verbessert und den Jugendlichen ein erfolgreicher Start ins Berufsleben ermöglicht werden. Gleichzeitig ist es wichtig, die Berufsorientierung kontinuierlich weiterzuentwickeln. 

Die Welt der Arbeit verändert sich stetig und mit ihr die Anforderungen an die Jugendlichen. Durch innovative Konzepte, digitale Tools und enge Zusammenarbeit zwischen Schulen und Unternehmen kann Berufs- und Bildungsorientierung effektiv und zukunftsorientiert gestaltet werden.

Frage-Antwort-Ping-Pong

Blogbeitrag von Mag. Stefan Hutter