KI in der Schule shutterstock/Rymden

Interview mit Matthias Leichtfried zum Thema "KI in der Schule"

Künstliche Intelligenz ist gekommen, um zu bleiben – doch was bedeutet das für den Unterricht in der Schule? Welche Rolle kann KI im Unterricht spielen und wie können Lehrende sie didaktisch sinnvoll einsetzen?


Matthias, du forscht seit Längerem zum Thema „KI“. Wie wird KI deiner Meinung nach den Unterricht verändern?

Matthias Leichtfried: Spannende Frage, die ich mir tatsächlich selbst oft stelle. Als Wissenschaftler hütet man sich ja immer ein bisschen davor, die Zukunft vorherzusagen, aber wenn ich jetzt eine vorläufige Antwort gebe, dann sehe ich drei Trends, die sich abzeichnen:

1) Erstens glaube ich, dass die Veränderung des Unterrichts durch Technologien immer ein Nebeneinander verschiedener Geschwindigkeiten sein wird: Es wird sicherlich Standorte geben, die darauf setzen, den Einsatz von KI-Tools möglichst lange zu beschränken und zu verbieten, während andere Akteur:innen im Bildungssystem – und das können eben auch einzelne Lehrpersonen sein – einen eher offenen Umgang mit den Möglichkeiten pflegen werden.

2) Auf längere Sicht glaube ich – und das wäre der zweite Trend –, dass Lernen stärker individualisiert werden wird, weil dynamische Algorithmen in der Lage sein werden, sich in einer Weise an die individuellen Bedürfnisse von Einzelnen anzupassen, wie es Lehrpersonen nur unter Aufwand beträchtlicher Ressourcen könnten. Hier gilt es dann auch als Lehrperson, ein Gegengewicht zu schaffen und den Aufbau gemeinsam geteilten Wissens zu organisieren, Diskussionen anzuregen und der Vereinzelung, die durch Individualisierung möglicherweise droht, etwas entgegenzusetzen.

3) Eine dritte große Veränderung des Unterrichts wird sich aus der Tatsache ergeben, dass generative KI und in Zukunft vielleicht auch autonome Agentensysteme immer mehr Aufgaben übernehmen, die ursprünglich uns Menschen vorbehalten waren und daher werden Curricula angepasst werden müssen. Und doch hoffe ich, dass sich an dem Kerngedanken unseres Bildungssystems, nämlich junge Menschen dabei zu unterstützen, zu mündigen und autonom denkenden, kritischen Erwachsenen zu werden, hoffentlich nichts ändern wird.   

Wo siehst du generell das Potenzial, wo die Gefahren von KI?

Matthias Leichtfried: Hätten wir jetzt drei weitere Stunden für das Interview, würde ich es vielleicht schaffen, all die positiven und negativen Aspekte dieser Technologie zu nennen und zu diskutieren. Weil das aber vielleicht niemand lesen möchte, nenne ich hier nur die für mich zentralen Aspekte.

Besonders wichtig ist mir bei der Frage nach Chancen/Risiken, Potenziale/Gefahren, Möglichkeiten/Limitationen, dass man der Versuchung widersteht, das Thema in eine Richtung hin auflösen zu wollen – also: Entweder KI ist gut oder KI ist schlecht. Ich glaube mittlerweile, dass das Thema KI immer beides ist, also ein sowohl/als auch. Man sollte sich stets mit beiden Seiten auseinandersetzen, mit den Potenzialen und den Gefahren, denn zweifelsohne gibt es sie beide. Generative künstliche Intelligenz hat das Potenzial, viel Gutes in die Welt zu bringen, mehr Bildungsgerechtigkeit zu ermöglichen und für große technische Fortschritte zu sorgen, aber sie kann auch gegen den Menschen eingesetzt werden und angetrieben von Profitgier großer Konzerne zu einer manipulativen Überwachungsdystopie ausarten. Es braucht in jedem Fall starke demokratische Strukturen und nicht zuletzt ein kritisches Bildungssystem, das – wie oben schon erwähnt, Schüler:innen ermöglicht, ihren kritischen Geist zu stärken.

Noch vor jeglichem Horrorszenario à la „Die KI vernichtet die Menschheit“ wäre meine größte Sorge, dass wir KI unintelligent einsetzen, nämlich in einer Art und Weise, dass sie das Lernen nicht unterstützt, sondern ersetzt.

Es gibt viele Lehrkräfte, die sich beim Thema „KI“ noch nicht so gut auskennen. Müssen sich deiner Meinung nach alle Lehrer:innen mit dem Thema auseinandersetzen oder können sie auch einfach sagen: „In meinem Unterricht hat das Thema „KI“ keinen Platz.“?

Matthias Leichtfried: Ich glaube, dass ein Grund dafür, dass manche Menschen das Thema ignorieren, darin liegt, dass sie es vor allem als „technisches Thema“ verstehen und denken, dass sie mit Technik nicht viel am Hut haben. Ich bin aber der Ansicht, dass es sich sehr wohl lohnt, sich mit dem Thema in all seinen Facetten zu beschäftigen, denn man wird merken, dass es kaum einen Bereich gibt, in den die Auswirkungen von KI noch nicht vorgedrungen sind. Letztlich stößt generative KI auch immer philosophische Fragen nach dem Menschsein an und man kann sagen, dass es dann keinen Unterricht geben kann, in dem das Thema „KI“ keinen Platz hat. Wichtig ist nur, dass niemand gezwungen wird, sich mit dem Thema zu befassen, ich bin aber sehr optimistisch, dass jede Person, die sich auf das Thema einlässt, etwas finden wird, das sie als faszinierend empfindet. Selbst die absolute Ablehnung der gegenwärtigen Entwicklungen um KI und die systematische Erarbeitung der Gründe dafür, kann eine Lerngelegenheit im Unterricht sein.

KI im Deutschunterricht - Symbiosen mit dem Schreibwerkzeug

Du warst Deutschlehrer an einer AHS, bevor du an die Uni gekommen bist. Wie würdest du die KI in deinem Deutschunterricht einsetzen?

Matthias Leichtfried: Mhm, das ist eine wirklich gute Frage, aber ich vermute, dass mein erklärtes Ziel wäre, mit meinen Schüler:innen gemeinsam eine reflektierte Haltung zu entwickeln, die eben von diesem dialektischen Moment inspiriert ist: Sowohl/als auch.

Ich würde versuchen, zu vermitteln, dass wir als Schreibende immer schon Symbiosen mit unseren Schreibwerkzeugen eingehen, dass auch der Notizblock, die Schreibmaschine und natürlich der Computer unser Schreiben und Denken beeinflussen, und ich würde aber trotzdem sehr stark dafür plädieren, dass die Schüler:innen die Grundbewegungen des Denkens auch ohne Hilfsmittel – also ohne KI – nachvollziehen und einüben können.

Schreiben ist für mich immer auch Denken, das Finden einer eigenen Stimme, etwas in spezieller Art und Weise auszudrücken, Verantwortung zu übernehmen für einen Text, für die materialisierten Gedanken, die sich darin ausdrücken. Das kann künstliche Intelligenz einem nicht abnehmen, am Ende des Tages muss ich als Mensch die Verantwortung für mein Denken übernehmen, egal wie die Gedanken in meinen Kopf gekommen sind, sei es über ein Buch, über eine Dokumentation im Fernsehen oder über eine Kurzantwort von ChatGPT.

Was sagt uns der Text morgen?

Wenn du den Deutschunterricht in 10 Jahren skizzieren müssten: Wird da mehr geschrieben oder mehr generiert? Und was wünschst du dir für die Lehrkräfte und die Schüler:innen?

Matthias Leichtfried: Der Kulturwissenschaftler Hannes Bajohr stellt in einem seiner Essays die These auf, dass wir jetzt die Standarderwartung haben, dass ein Text von einem Menschen stammt, dass diese Erwartung aber durch KI in Frage gestellt würde und dass in einem von ihm skizzierten postartifiziellen Zeitalter die Frage nach der Entstehung des Textes keine Relevanz mehr haben werde.

Ich würde mir also wünschen, dass in einem Deutschunterricht in 10 Jahren vor allem viel gelesen wird, und zwar stets mit dieser kritischen Haltung, die ja auch jetzt schon ein hehres Ziel des Deutschunterrichts ist: Was sagt der Text? Wie macht er das? Wo manipuliert der Text uns? Wie stehe ich zu dem, was der Text sagt? Wie steht der Text zu anderen Texten?

Für die Schüler:innen würde ich mir also vor allem wünschen, dass ihr Deutschunterricht nicht mehr so stark der Form verpflichtet ist, à la: „Im Basissatz muss a, b und c genannt sein.“, sondern wieder mehr dem Gehalt, den Themen, den spannenden Fragen. Die Auseinandersetzung mit Sprache und all ihren künstlerischen Ausformungen kann so lustvoll sein, ich hoffe, dass uns generative KI daher ein bisschen von diesem Zwang entlastet, die Form über den Inhalt stellen zu müssen.

Den „Faust“ generieren …

Und noch eine letzte Frage, Matthias. Wenn Faust heute geschrieben würde – glaubst du, Goethe hätte sich heimlich ChatGPT als Co-Autor geholt?

Matthias Leichtfried: Ich gehe davon aus, dass Schreibende zu allen Zeiten auf alle ihnen verfügbaren Hilfsmittel zurückgegriffen haben, seien es Bücher für die Recherche, die Unterstützung durch all jene nicht sichtbaren Personen, die am Entstehen eines großen Werkes mitwirken, oder eben Schreibwerkzeuge aller Art. 
Goethe hätte sicherlich bei dem ein oder anderen Reim auf ChatGPT zurückgegriffen, da bin ich gewiss.

Die viel wichtigere Frage wäre für mich aber: 

Würde „Faust“, wenn das Werk erst heutzutage erscheinen würde, auch noch auf so viel Anklang stoßen, würden die Menschen sich noch die Zeit nehmen, es mit voller Hingabe zu lesen oder würden sie es eher in NotebookLM hineinkopieren mit dem Prompt: „Ich hab grad keine Zeit das alles zu lesen. Fasse mir das Werk in 3 Sätzen zusammen.“


KI im Deutschunterricht der AHS und BHS

Künstliche Intelligenz ist gekommen, um zu bleiben – doch was bedeutet das für den Deutschunterricht?

Arbeitsblätter und Erklärvideos

KI im (Deutsch-)Unterricht: verstehen, anwenden, hinterfragen.

Webinar: KI im Deutschunterricht der AHS und BHS am 27.11.2025, 17-18 Uhr

Referentin: Dr. Caroline Kodym

Im Webinar wird erörtert, welche Rolle KI im Schreib- und Literaturunterricht spielen kann und wie Lehrende sie didaktisch sinnvoll einsetzen können. Dabei werden verschiedene Methoden und Übungen vorgestellt, die aufzeigen, wie KI-Tools Schreibprozesse unterstützen, reflektieren oder erweitern können.

Die theoretische Basis bilden grundlegende schreibdidaktische Überlegungen zum Schreibprozess und zur Rolle des Schreibens im Deutschunterricht. So verbindet das Webinar praxisorientierte Beispiele mit aktuellen fachdidaktischen Perspektiven – von der Förderung kreativer Schreibprozesse bis zur kritischen Reflexion digitaler Textproduktion.